Varia
Lazarett II
Ich bin nicht musikalisch
vieles kann ich so besser als Geräusch ertragen
ich kann die Augen schließen
fremd und unbescholten klingt die Melodie neben mir
oft wenn es den Eidolas gefällt mich zu bombardieren
verfahre ich dergestalt
Jetzt da das Essen heran gerollt wurde
höre ich ihre Löffel in den Kochgeschirren schaben
wenn sie fast leer sind werden sie an die Wandungen schlagen
neuen Fraß herbei zu trommeln wie Schamanen
Auch hier im Lazarett bin ich nicht allein
draußen im Park erheben die Bleche ihre Stimmen im Regen
einzelne zagende Töne staken in der Stille
und immer weiß ich wenn ich meine Stirn an die kalte Scheibe presse
legt die Nacht an die andere Seite die ihre

Abschied
Treiben auf Brandenburgs Feldern
abgelegen den Dörfern
große Bahnhofsgebäude
letzte Schiffe Klassizismus
ankernd im Nichts
des inwendig
hallender Fliesen
Wiedergang
todgeträumte Bahnhöfe
Schachteln in denen verschollener Nippes klappert
Abschiede der Soldaten
letzter Umarmungen
Porzellannippes
gelogene Tapferkeit
da die unstillbaren Weiten
in jedem Kuss beben
zitternd vor Zeit
und doch auch des Möglichen
noch eingeschweißte Ampullen
Morphium
Bahnhofsruinen
klappernd
mit Soldatenschicksalen
durchschossen von Schwalben

Ein Freund
der schon lange tot ist
mit dem ich Jahre vorher mich verstritt
und nicht mehr sprach
zeichnete Bilder voller Einfachheit
Baum Mann Tisch Hund Laterne
(der Tisch war meist unser Kneipentisch)
nichts ungewöhnliches
das ich schnell vergaß
bis ich in einer Straße Barcelonas
plötzlich seine Zeichnung erkannte
Tisch Hund Laterne Baum Mann
und ich sehe sie seitdem fast überall
egal was sich dazwischen geschoben hat
Laterne Baum Mann Tisch Hund
und ich staune und kann es kaum fassen
dass er so Wesentliches traf
Baum Mann Laterne Hund Tisch
(für Alf)

In den Bergen
Einmal saß ich bei einer Frau
in ihrem finsteren Haus am Berg
und aus der Dunkelheit heraus
sagte sie
Kennen sie das
Alles frisch vom Fisch
Das bin ich

Betonwerk
Maschine rückwärts des Werkes
hellgrün und ölig
eisern bestückt
in meiner Nachtschicht
entstiegenen Nächten
wo die Witze aus
Öl-Schokoladenmündern kamen
aller Haut unter Leuchtröhren fahlte
wie Fischbauch
schob ich so oft das grosse Tor auf
zu der dunklen Rampe des Bahndamms
und im Trara der fliegenden Züge
stotterte Licht über meine Stirn

Endemische Population
Seltene Art der Hirsche
die Töpfer so oft auf dem Grund
ihrer Teller platzieren
so abgegriffen flüchtig
nach dem vielen Malen
dass sie gelenklos gleichzeitig
nach allen Richtungen fliehn
sehn ihre Läufe doch
den Bahnen
entlaufener Farbtropfen gleich
noch auf den Scherben
noch nach Jahrhunderten
springen die Tiere auf
als hätte man sie gerade erschreckt
auf dem Grund ihrer Schüssel
wo sie zu Hause sind

Sonntagsdepression
Nichts behagt mir
nichts gefällt
(Flammentiere ausgesandt
kommen naß und finster
angekrochen
schlüpfen schweigend in den Ofen)

Die Frauenrücken
die über die Äcker krochen
bespannt mit verwaschenen Blumenschürzen
habe ich verloren
Erneut aber gehen im Supermarkt die Rechnerinnen
mit ihren Körben
über die Felder
bis ans Ende

Mansfeld
sonnenumrandete Dinge
aus dem Mayagold gefallen
stolzieren am Horizont
Erscheinung dem
der in die Nachtschicht geht
übers Feld
in den Schacht

Maitre de Plaisir
Im Kino Krokodil
das nur traurige Filme zeigt
hantiere ich im Maschinenraum
der kleinen Kammer
mit der Raumkapselluftschutztür
schalte ich an den Blinklichtern
bis alles um mich summt
und das Licht aufspringt
schnell wie am Stern
Riesenschatten die in Muschelhörner stoßen
spielen sich auf
sogleich querfeldein in ihr Schicksal zu rennen
(In seiner Mythologie
überlegt Voss immer noch
wie Götter laufen und fliegen
mit rotierenden Beinen
oder im Gespenstergang)
Und die vor denen all das turnt
sind ins Dunkel gesunken
dass ihnen wiedererstehen könnte
das Lesen unter der Bettdecke
mit Taschenlampe
(Leben ziehen vorüber
künstlich geschnitten
und wenn sie gut geschnitten sind
zeigen sie Einerlei)
Kommen die Insassen endlich heraus
stellen sie die leeren Flaschen auf den Tresen
verschwinden durch die Glastür
schweigend in ihre Mitternächte
und ich beginne zu fegen

Ich habe gehört
kommt ein Fremder in eine Stadt
geht er zum Minarett
steigt in die Reihen der Beter
vorschriftsmäßig Schulter an Schulter
geschmiegt mit den anderen
sogleich eingeklemmt und gezählt
in der Schatulle der Mosche
Ich habe gehört
wie mein Freund erzählt
dass wir zusammen
oft ins SO gehen
immer wenn die Musik am lautesten ist
(aber es war nur einmal)
fügt sich der eine laute Abend
in die Reihe der gedachten
verneigt sich der Beter in seiner Einsamkeit
in der Reihe seiner Brüder
trabt die Mücke glücklich als Elefant

Kellergang
Nacht wie tief im Fell
einer Hündin
Moschus
erstickter Kartoffelkeime
da jedes Geräusch
sich benimmt
als wär es allein
auf der Welt
manchmal weiß
als sauste eine Stirn
vorüber
wenn du jetzt weitergehst
wird dir die Puppe
ohne Kopf
verzeihen

Bewerbung
das weiß ich
das kann ich
schrei ich
das Schminken
mit riesigen
Kohlestücken

Der Zauber der Torheit
auch wenn man weiß
wie betrunken man ist
und doch anfängt zu tanzen
vor allen
(eine Nacht lang das Nicken
der Tannen um mich her)
Warum wache ich nicht auf
und bin betrunken